Oha, 14 Tage vergangen seit Tag 0? Da musste ich wohl erkennen, dass es zwischen den Festivaltagen schier unmöglich ist, Zeit für Zwischenberichte aufzubringen. Zwar ist das Primavera Sound keines der (von mir völlig verhassten) Zeltl-Festivals. (Um 5 bis 6 Uhr durften Astrid und ich uns am Ende jeden Tages ins Hotel-Bettchen im zentralen Barcelona-Bezirk Eixample legen. Übrigens zu Fuß vom Parc del Fòrum ca. 70 Minuten entfernt. Ja, wir haben das ziemlich genau rausgestoppt. Schlechte Idee.) Aber weil wir bei der Gelegenheit auch das überregional bekannte gastronomische Angebot der Stadt ausgiebig auskosteten und schließlich auch noch Zeit bleiben musste für etwas Schlaf, etwas Sonne, ein wenig Arbeit im Urlaub (ging nicht anders) UND ein paar spanische Quizsendungen im Fernsehen musste die Bloggerei vertagt werden. Oder verwocht. Aber jetzt geht’s weiter.
Dienstag gab’s also Ibeyi im Club, Mittwoch ging das Festival semi-regulär los, und zwar mit einem Gratis-Konzertabend im Parc del Fòrum mit vier oder fünf Kapellen, von denen uns aber nur Tages-Headliner OMD (Orchestral Manoeuvres in the Dark) interessierte. Diese Band wurde in den letzten dreieinhalb Jahrzehnten wohl öfter im Radio gespielt als die meisten der ca. 200 anderen beim Festival zusammen. Der letzte Hit ist allerdings 20 Jahre her, also begannen der stimmlich bestens erhaltene Sänger Andy McCluskey und seine Band (fast in Originalbesetzung) mit „Enola Gay“, wohl um den jungen Leuten gleich mal ein „Jaja, WIR sind das“ entgegenzuschleudern. Was für ein Song! Der Auftakt zu einem Synthpop-Streifzug durch die 80er und 90er mit einprägsamen Nummern wie „Maid of Orleans“, „Forever live and die“ oder dem großartigen „So in Love“. Zum Schluss wartete Astrid auf „Walking on the Milky Way“, den Spät-Hit der Band aus 1996, ich auf „Sailing on the seven Seas“. Ich wurde beglückt, Astrid nicht. Insgesamt ein überraschend starker Auftritt. Nur mit einem neuen Hit wird’s wohl leider nix mehr, aber das werden auch andere, scheinbar antiquierte 80er-Bands wie Duran Duran oder Simple Minds mittlerweile eingesehen haben.
Weiter ging’s für uns wie am Dienstag zu den Clubs, mit der U-Bahn etwa 25 Minuten vom Fòrum entfernt, um ein paar Bands zu sehen, die zwar an den Folgetagen auch auf dem Hauptfestival spielten, aber sich ungünstig mit anderen Acts überschnitten. Im BARTS machten wir es uns ganz vornehm im bestuhlten Bereich im ersten Stock bequem und gaben uns Benjamin Booker somit nicht im ärgsten Gedränge, sondern in Kino-Atmosphäre mit bester Sicht. Herr Booker ist ein junger, schwarzer Gitarrengott und fast hätte ich den „Star-Spangled Banner“ erwartet, wiewohl Astrid richtigerweise einwandte, dass seine Gestik eher an Chuck Berry erinnerte. Blues-Rock mit Punk-Attitüde, sehr überzeugend vorgetragen, aber nichts wahnsinnig Spektakuläres. Dachte ich. Dann begann die Rock’n’Roll-Show aber erst.
Irgendein gutgelaunt Verwirrter aus dem Publikum dürfte Booker ein „Show me the Money“ zugerufen haben. „‚Show me the Money‘? Jerry Maguire? Is that your American reference?“, kam’s von Booker zurück. Ich weiß nicht, ob es DIESER Typ war, den Booker auf die Bühne holte, jedenfalls war es ein junger Mann namens Pablo, dem der Bandleader folgenden Auftrag erteilte: „Wenn’s beim nächsten Song so richtig abgeht, stürzt du dich mit dem Kopf voraus in die Menge.“ Pablo tat wie ihm geheißen – und kam immerhin einige Meter weit, ehe er dem Publikum entglitt. Kein Problem, die Leute hatten Pablo liebgewonnen und hätten ihn schon wieder hochgeholt und bis ans Venue-Ende getragen, aber irgendwie hatte die eifrige Security etwas dagegen und krallte sich den armen Pablo. Mr. Booker gefiel das wiederum gar nicht, brach seinen Song sofort ab und eilte geradewegs in die Menge, um Kollege Pablo zu befreien. Wieder auf der Bühne wies er den Security-Heini an, sich „the fuck out of here“ zu begeben (Und: „You have my permission to beat the security guy’s ass“), woraufhin sich Band und Publikum auf der einen und Sicherheitsleute auf der anderen Seite endgültig spinnefeind waren.
Es folgte: Menschen auf der Bühne, Security auf der Bühne, Booker schmeißt sich in Security-Guy, um ihn von der Bühne zu befördern, mehr Menschen auf der Bühne, eine tobende Menge, eskalierende Stimmung, „Pablo“-Sprechchöre und immer wieder ein paar aufheizende Ansagen von Booker – und ein paar gute Songs. Selten so gelacht, also ich bin jetzt Fan!
Eigentlich wollte Booker mit der Menschenmasse noch was trinken – und vielleicht noch bisschen randalieren –, Astrid und ich mussten aber schleunigst auf die andere Straßenseite in den Sala Apolo, wo sich schon eine lange Schlange gebildet hatte, weil die Band Viet Cong wohl viele Leute sehen wollten. Wir schafften es aber um ca. 02:00 Uhr rechtzeitig zum Beginn von The Juan MacLean vom wunderbaren DFA-Label in den Club. Dort schloss sich der Kreis zum Beginn des Abends mit etwas 80er-Feeling, wenngleich vom Sound her natürlich topmodern in die 10er-Jahre transformiert. „One Day“ ist mit dem Wechselgesang von John MacLean und der umwerfenden Nancy Whang eine Art „Don’t you want me“ 2.0 und „No Time“ erinnerte nicht nur Astrid an einen weiteren Human League-Klassiker, „Being boiled“. The Juan MacLean kommt mit seinem Dance-Punk-House a la LCD Soundsystem oder !!! extrem nahe an meine Idealvorstellung einer Band hin, die ich formen würde, wenn ich die Skills dazu hätte. Perfekter Abschluss: Die sehr extended Version von „Happy House“.
Eine Weile gaben wir uns dann noch das direkt folgende DJ-Set von Nancy Whang, aber eigentlich waren wir nach unserem Tourismus-Programm am Nachmittag und den drei Konzerten schon schlafbereit.
An Tag 2 ging es weiter mit Panda Bear, Battles, Antony and the Johnsons, Black Keys, Jungle und vielen mehr.